Wangerooge
Im Jahre 1975 wird auf der Nordsee-Insel Wangerooge ein neues Schullandheim errichtet und eingeweiht, an dessen Bau auch die Stadt Löhne mit 230.000,- DM finanziell beteiligt ist. Zugleich wird am SGL erstmalig ein Fahrtenkonzept etabliert, das vorsieht, dass alljährlich die Jahrgangsstufe 6 im Rahmen von Schullandheim-Pädagogik dort einzieht.
Klaus Tieke, ehemaliger Erprobungsstufenkoordinator am SGL, hat dieses pädagogische Konzept der Wangeroogefahrt nach langjähriger Erfahrung nicht besser beschreiben können:
"Unterricht am Strand, das Meer im Blick, Schiffe am fernen Horizont – welche Schülerin, welcher Schüler wünscht sich nicht solche Schulstunden, den „etwas anderen Unterricht“ an einem ganz besonderen außerschulischen Lernort?
Generationen von Schülerinnen und Schülern sind im Bünder Schullandheim auf Wangerooge gewesen, haben wenigstens zehn Tage auf der östlichsten der Ostfriesischen Inseln verbracht und damit den „normalen“ Löhner (Schul-)Alltag gegen ein entschleunigtes Insel-Dasein im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer eingetauscht. In der Wahrnehmung der langjährigen „Wangerooge-Fahrer“ des Lehrerkollegiums erscheinen Insel und Schullandheim daher fast schon als „Außenposten“ unseres Gymnasiums.
Längst ist dieser Aufenthalt zu einer wichtigen Station der Erprobungsstufe, aber auch der individuellen persönlichen Entwicklung geworden. Gemeinschaftserfahrungen, die das Zusammenwachsen der Kinder zu funktionierenden Klassengemeinschaften begünstigen, lassen sich fernab des rhythmisierten Schulbetriebs zwischen Strand und Dünen, Leuchtturm und Inseldorf, aber auch in der ganz eigenen Atmosphäre des Schullandheims besonders leicht gewinnen.
Auf Wangerooge ist das Meer stets allgegenwärtig - nicht allein, weil es gefühlt ja nur wenige Meter hinunter zum Strand sind, sondern vor allem, weil es Bezugspunkt fast aller Aktivitäten von Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern ist. Das schlägt sich unmittelbar in der Gestaltung des Tagesablaufs nieder: Während zu Hause Englisch, Physik oder Mathematik auf dem Stundenplan steht, geht es hier hinaus in den Sand, um ein Meeresungeheuer zu erschaffen, oder an den Wellensaum, wo sich verschiedene Eindrücke zu einem konkreten Bild des abstrakten Begriffs „Meeresverschmutzung“ zusammenfügen, oder ins Watt, das sich als einzigartiger Natur- und Lebensraum erkunden und begreifen lässt. Und selbst da, wo vermeintlich Vertrautes im Vordergrund steht, wenn beispielsweise einfach nur Sport oder Kunst unterrichtet wird, bringen sich Meer und Insel noch mit mancherlei maritimen Merkmalen in Erinnerung, so etwa beim Fußballturnier auf dem Sportplatz des Schullandheims, der vom nahen Wangerooger Leuchtturm beherrscht wird, oder auch beim Bemalen der Erinnerungs-T-Shirts, die gern mit allerlei Motiven des Meeres und der Insel verziert werden.
Im Jubiläumsjahr 2016 lässt sich resümieren, dass „Wangerooge“ nicht nur eine Chiffre für die persönlichen Erinnerungen vieler Löhner Gymnasiasten an einen besonderen Abschnitt ihrer Schulzeit ist, sondern auch für eine lange und schöne Tradition eines Schullandheimaufenthaltes, die für ein Miteinander im besten Sinne des sozialen Lernens steht".
Ein W’ooge-Ereignis aber ist inzwischen legendär geworden. Iris Lehne und Joachim Kühnen kommen als schelmische Mittäter zu Wort:
Wie groß darf der Bär sein, den man einem Sechstklässler aufbinden kann?
„Die Idee fährt auf jeder Klassenfahrt mit. Wir spielen unseren Lehrern einen Streich: Zahnpasta unter der Türklinke oder in der eigenen Handfläche kurz vorm Händeschütteln – immer wieder schön, vor allem auch schön harmlos. Damit sind die Kinder aber schon mit ihrem Latein am Ende und die Lehrer freut es, denn wer ist schon gerne Opfer eines Streiches.
Lehrer und Lehrerinnen hingegen sind ausschließlich verantwortungsvoll um das Wohl der lieben Kleinen besorgt. Streiche würden sie niemals machen – oder doch?
Naja, so ein Inselaufenthalt fern der Heimat lässt schon einmal die eine oder andere kreative Idee reifen… erst langsam, dann immer konkreter… und stets unter der Maßgabe, dass niemand Schaden nehmen oder Angst bekommen darf. Spannung hingegen ist ein sehr erwünschtes Element. Die Ansprüche sind hoch!
Wir schreiben das Jahr 2009:
An einem der insgesamt neun Abende auf Wangerooge sitzt noch ein versprengtes Grüppchen von drei Lehrkörpern im sogenannten Lehrerzimmer und grübelt, wie man auf dieser Fahrt die Kinder hinters Licht führen könnte. Etwas Neues muss her, etwas Witziges, unlogisch Logisches mit viel Bewegung und Action… Und dann ist sie geboren, die neue Idee. Es wird gefeilt und geplant, die Kolleginnen und Kollegen werden informiert, das Hausmeisterehepaar und die begleitenden Mütter werden eingeweiht und sogar die anwesenden Installateure der Firma Kröger aus Bünde werden mit hineingezogen.
Die Idee:
Unter der Insel Wangerooge befindet sich tatsächlich eine Süßwasserblase. Die Lehrer informieren die Kinder, dass der Umfang dieser Blase abgenommen habe, was zu einer zwar geringfügigen aber in Bezug auf die Statik des Hauses bedrohlichen Schieflage des Schullandheimes führe. Im Augenblick sei die Situation noch ungefährlich - es bestehe also keinerlei Veranlassung, die Eltern anzurufen und in Panik zu versetzen! Doch das Land Niedersachsen müsse zügig reagieren. Die Kosten für das Ausrichten des Hauses seien jedoch immens, denn es müsse viel „schweres Gerät“ auf die Insel geschafft werden und überhaupt sei „Gefahr im Verzug“.
Das Land bitte nun also die anwesende Schule – also die Klassen 6 des Städtischen Gymnasiums Löhne – um Mithilfe. Sollte es gelingen, die Situation zu regulieren, würde eine Anerkennung und Belohnung umgehend erfolgen.
Die Aktion:
Direkt nach dem Mittagessen erfolgt die Information der Schülerinnen und Schüler in ruhiger, ernster und vor allem eindringlicher Form. Die Anweisungen sind eindeutig:
- Die Rettungsaktion muss direkt nach dem Mittagessen stattfinden, denn im Augenblick ist die Tide besonders günstig.
- Der Spüldienst verrichtet zuerst seine Aufgabe in der Küche.
- Alle Jungen ergreifen die bereitstehenden Eimer, gehen zum Strand und schaffen Salz(!)wasser herbei, das anschließend in den üblicherweise funktionslosen Betonring vor dem Schullandheim gegossen wird.
- Alle Mädchen räumen das lose, tragbare Mobiliar (Hocker) aus ihren Zimmern hinunter in den Tischtenniskeller, und zwar auf die Seite zum Jungentrakt. Dies dient dem Austarieren des Gebäudes und der Gewichtsreduzierung der Gebäudeseite, die angehoben werden muss.
- Wenn dies alles erledigt ist, gehen alle Schüler und Lehrer auf die Außenseite des Mädchentraktes und drücken auf Kommando das Haus nach „vorne und oben“.
- Die anwesenden Installateure sind mit Fernrohr, Laptop und Warnweste ausgerüstet, überwachen die Aktion und überprüfen den Stand der Bemühungen mit ihrem „technischen Gerät“.
Die Specials:
Alle Mitwirkenden ziehen an einem Strang. Die Kinder unwissentlich und in guter Absicht. Auftretende Fragen ob des Wahrheitsgehaltes des Vorhabens werden von Lehrerseite mit Gegenfragen – „Glaubst du, ein Lehrer würde dich anlügen?“ – entkräftet oder mit Aussagen wie „Wir haben es selbst nicht geglaubt, aber das Bauamt Jever wird sicher wissen, was getan werden muss!“ und „Fakt ist, dass wir das jetzt gemeinsam tun müssen!“ kommentiert. Die eingeweihten LehrerInnen, Hausmeister und Installateure sind allesamt ernst und konzentriert bei der Sache – keinem entschlüpft ein verräterisches Lachen, höchstens einmal ein heimliches Schmunzeln. Selbst die Mütter in der Küche unterstützen die Idee mit einer sensationellen Beobachtung: „Als ihr alle auf Kommando das Haus nach ,vorne und oben‘ geschoben habt, da hat man die Bewegung sogar im Spülwasser gesehen!“
Das Fazit:
Die Rettungsaktion der Schülerinnen und Schüler ist erfolgreich. Nach mehrmaligem Schieben – Sie wissen schon: nach „vorne und oben“ – zeigt das „technische Gerät“ der Herren aus Bünde an, dass das Haus wieder im Lot steht. Und die Kinder sind, auch wenn sie es heute nicht mehr zugeben möchten, überzeugt, etwas Besonderes geleistet zu haben. So viele Erwachsene können nicht lügen! Und warum sollten sich Fremde an dieser Sache beteiligen, wenn sie nicht wahr wäre…?
Die Belohnung:
Schon am nächsten Tag erscheint ein Zeitungsartikel über die heldenhafte Rettungsaktion der Löhner SchülerInnen im „Jeverschen Wochenblatt“ – eine Kopie des Artikels wird kommentarlos im Speisesaal aufgehängt. Donnerwetter – wieder ein Wahrheitsbeweis!
Am Nachmittag wird die Strandolympiade mit einem Grillfest beendet – Würstchen und Kartoffelsalat sind ein Dankeschön des Landes Niedersachsen.
Was für ein Abenteuer!“
Zeittafel
Febr. 75: Eröffnung des neuen Bünder Schullandheims auf Wangerooge
1980: Der Schullandheim-Aufenthalt auf Wangerooge für die sechsten Klassen wird von drei Wochen auf 14 Tage verkürzt, die Kosten betragen nun 270,- DM pro Schüler.
81/82: Das Schullandheim erhält eine großzügige Sportanlage.
1989: Der Bau wird verklinkert und energetisch saniert.
Mai 96: Der Rotary Club Herford-Widukind sponsert das Spielschiff hinter dem Heim.
2001: Anstelle des Flachdachs bekommt das Schullandheim ein Satteldach.
Verfasst für die Festschrift zum Jubiläumsjahr 2016 von Jörg Meyer